Ferrari
22/07/2001
Es war einer jener Sonntagnachmittage, an denen man keine rechte Lust verspürt, Freunde zu treffen und an denen einem zudem allerdings auch die eigene Gesellschaft nicht so recht taugen will. Ich hatte keine Pläne und wenn ich welche hatte, dann erstreckte sich die Planung auf die nächsten Minuten, die nächste Stunde – weiter nicht. Aber wie so oft, immer dort, wo man es am wenigsten erwartet, lauerte die Erlösung in einer Kurve, hinter der ich sie gerade am wenigsten vermutet hätte: Im Formel 1-Parcour, an dem heute wie jedes Jahr der Grand Prix von Frankreich ausgefahren wurde, breit und unerbittlich, dort unter der französischen Sonne, gleißend und beißend, wie eine Achterbahn, die sich in ihren Kurven selbst in die beste Stimmung beschleunigt. Und nicht nur das. Wie ein I-Tüpfelchen, wie Sahne wurde heute noch dazu aufgetragen, dass die Schumacher-Brüder hintereinander aus den ersten beiden Positionen heraus starteten. Ralf auf der Polposition, Michael dahinter. Das schaute ich mir an und ging darum ins Bobolovsky, eine Großleinwandkneipe direkt unter meiner Haustür. Und so sah ich, was an jenem Sonntag Nachmittag so viele Menschen sahen: ein Kreisen in Geschwindigkeit mit wenigen kurzen Boxenstopps, um Luft und Sprit zu holen. Und wie ich sie so kreisen sah, da fand ich mich auch alsbald in meinen eigenen Gedanken wieder und so, in der Breite der Langeweile niederliegend, kehrte ich nach einer O-Saft-Schorle und einer Broccolicremesuppe auf dem Zacken um und kehrt zurück und heim zu mir, noch bevor die Strecke von allen niedergefahren war und der letzte Gummi verraucht. Und es war ja auch schon klar: Michael hat seinen Bruder überrundet und gewinnt mit mehr als 20 Sekunden Vorsprung. Mehr musste ich nicht wissen. Mehr muss niemand wissen. Denn wenn wir an einem sonnigen Sonntag Nachmittag wissen, wer gewinnt, dann wissen wir alles. Das heisst „Auf der Höhe sein“. Das sind die Informationen, auf denen die Formel 1 Wagen wie Bretter liegen, die die Welt bedeuten. Sie decken die ganze Welt mit Informationen aus sich heraus ab. Ja, noch mehr: Sie selbst sind die Welt. Oder genauer: Eigentlich ist Michael Schumacher die Welt…und Ferrari natürlich…und Mika ist am Start schon ausgefallen. Aber mehr muss nun wirklich niemand mehr wissen. Wirklich nicht. Und schließlich muss man auch seine Grenzen kennen. Und wo sind die genauer beschrieben, als in den ausgetüftelten Kreisbahnen eines Formel 1 Parcours. So ist es friedlich. So ist es gut. Danke Michael. Und danke auch Dir, Du gelbes Ferrari-Pferdchen. Hoope hoppe Reiter, wenn Du siegst, geht’s glücklich weiter. So dachte ich und dachte mir auch heute wieder, an die eigenen Grenzen erinnert: Sorge Dich nicht. Denn alles ist gut. Diese Welt ist eine gute Welt. Es ist die beste Welt von allen möglichen Welten.