Alles ist eitel
25/07/2001
„Die Eitelkeit ist eine Behinderung“, dachte ich gestern abend, als ich so die Straße hinunterschlenderte. Und wie viele Gesichter sie hat. Eine Verwandlungskünstlerin. Und wie herrlich sie den Menschen in sich selbst behindert, diese merkwürdige Lust, zu gefallen. Gefällt man den nicht automatisch, wenn man sich nur selbst ein bisschen mag?“ Ich war zugegeben verwirrt. Da standen sie, die Teenies, lässig die Zigarette im Mundwinkel, coole Sprüche klopfen, ganz en vogue. Es wurde gepierct, gestanden, gejubelt, gestikuliert. Und all dies geschah im vollen Wunsch, doch bitteschön zu gefallen. Da fuhren BMWs vorbei, die hatten die Scheiben runtergekurbelt, die Musik krachte schallend auf die Straße, eine Goldkette hing vom Arm des Fahrers aus dem Arm des Fensters, verlängert von einer Zigarette. Da rauchte sie schon wieder, wer sollte es anders sein: die bedröhnte Eitelkeit. Da lief einer im Nadelstreifenanzug, eine feine Aktenledertasche in der Hand, die Sonnenbrille im Gesicht, zügigen Schrittes an mir vorbei. Schon wieder war sie da. Zwei Freundinnen saßen nebenan im Eiscafé und schauten sich in ihrer Unterhaltung ab und zu um. Nach wem wohl? Natürlich. Auch sie suchten die Eitelkeit und bemerkten kaum, dass sie die ganze Zeit über mit ihnen am Tisch saß. Das Eis selbst schien eitel zu sein, und leuchtete aus seinem Becher wie die Sonne persönlich. Doch dann brach es ein und zerlief. Was ist das, was einem da so tagtäglich begegnet? Ist es nicht ein ganz merkwürdiges unterschwelliges Wunschgefühl, in allem was wir tun, recht herzlich gefallen zu wollen? Natürlich sind wir da ja alle schon lange drüber raus. Und glauben Sie mir: Darüber bin ich wirklich froh. Das ist Kinderkram. Wer so wie wir, die Großen, in sich selbst ruht, der braucht die Reflexe der Außenwelt auf sein Licht nicht mehr. Wie eine Wand stehen wir in uns selbst gefestigt die Frau und den Mann. Das nenne ich Selbstbewusstsein. Und wer hat das behauptet, dass alles eitel ist? Ist das nicht schon eine Ewigkeit her? Gilt das noch? Aber irgendwas muss doch dran sein. Denn stellen Sie sich nur vor: Was wäre die Welt ohne Spiegel. Würden uns nicht gänzlich die Reflexe fehlen? Ach, ich werde noch ein wenig darüber nachdenken, während ich mich genüsslich auf meinem Divan ausstrecke. Wie entsetzlich schade, dass mich gerade jetzt niemand sehen kann.