Eine Augenbinde für den Lieben Gott

Eine Augenbinde für den Lieben Gott
23/09/2001

Wir werden dem Lieben Gott eine Augenbinde kaufen müssen. Denn was wir hier unten treiben, können wir beileibe niemandem mehr zumuten wollen. Wir stemmen uns mit einer Wiesnmaß gegen die Unbill des Lebens und trinken unsere letzten unsinnigen Gedanken unter den Tisch, wo wir sie in den Abfall mischen. Es wird nicht auffallen. Wir rennen mit dem Kopf gegen Wände – von beiden Seiten wohlgemerkt. Aber wo die Welt aus den Fugen gerät, werden bekanntlich die Narren weise. Da stehn sie zu dritt auf der Straße: der Narr, Gevatter Hain und der liebe Gott, dem der Tod in letzter Sekunde noch die Augen verbinden konnte. Und sie unterhalten sich – über die Vergänglichkeit, über die Liebe, über die kleinen privaten Herzensangelegenheiten der Menschen, die in ihren Gehirnen zu Weltkriegen eskalieren und sich in den merkwürdigsten Gebärden des Narren wieder gebären. Sie philosophieren über die Vernunft und lassen sie schließlich in einem Gelächter in der Mischung von Gutmütigkeit, Liebe und Verstehen verpuffen. Nicht, dass sie nicht trinken würden. Natürlich heben sie die Gläser. Und sie binden ihren Rotwein in ihren eigenen Kreislauf ein, so wie sie selbst für den Kreislauf des Lebens stehen. Und sie heben ab und drehen sich auf einem Sandkorn glücklich um die Erdkugel und schauen runter. Da liegt die Erde, sich beständig und ruhig drehend unter ihnen. Die Ozeane schwimmen in ihrem zeitlosen Blau, die Berge glänzen und die Gletscher leuchten wie Brillantohrringe, die man der Königin zum großen Ballfest der Natur angelegt hat. Und das Dreigestirn der Lächelnden steht zusammen, und sie erzählen sich ihre Geschichten. Der Narr hat sich unglücklich verliebt, der Tod sagt, er muss sich noch ausruhen, weil er jetzt bald so viel zu tun bekommt und der Liebe Gott ist ein wenig enttäuscht, weil man ihm zu wenig zuhört und beklagt sich über die vielen egoistischen Gebete, die er erhören soll. „Sie hängen wie die Kletten an ihrem Leben und an ihren Lieben. Sie begreifen nichts. Sogar die Geburtenrate geht zurück. Bald sind nicht mal mehr verständige Kinder da. Es ist wirklich zum Kotzen.“ “Ja, zum Kotzen“ erwidert der Narr…aber ich hätte da eine Bitte….“ Sie lachen. Der Narr fragt den Tod „Wo ist eigentlich Deine Sense, Gevatter?“ „Beim Schärfen“, entgegnet der. Der Liebe Gott stopft sich Petersilie in die Ohren. „Ich wusste gar nicht, dass der Herr ein schlechter römischer Legionär ist, grinst der Tod.“ „Oh, die Herren sind gebildet, sie lesen Asterix. Sehr schön. Wenn wir untergehen, dann wenigstens mit Stil.“ „Hatten nicht die Gallier immer Angst, dass ihnen der Himmel auf den Kopf, fällt, fragt der Tod?“ Der Narr: “Ja, sie hatten Angst, dass er runter kommt und sie zermalmt. Der Himmel. Gott im Himmel…“ „Bin ja da.“ „Ich habe ein zerschossenes Narrenherz. Könntest Du mir vielleicht helfen?“ Sie brechen in schallendes Gelächter aus. „Man weiß eben nie, wo und wann es einen erwischt. An die Arbeit, Gevatter Hain.“ ruft der Narr. Und sie tanzen einen Cancan um den Pariser Kirchhof der Innocents. „Dein Hang zum Makabren geht mir manchmal fast zu weit“, klagt der Herr. „Hoch die Beine“, ruft der Narr, schließlich sind wir hier bei den Beaux Charniers, den schönsten Beinkammern von Paris, wenn nicht sogar von ganz Europa.“ „Wo ist meine Binde?“, fragt noch der Liebe Gott. „Lass nur, beruhigt ihn der Tod, es wird schon Tag. Jetzt ist Sense. Wo ist die überhaupt? Ah, ein scharfes Teil.“ Der Narr. „Ja, Du hättest sie sehn sollen. Diese Beine…ich habe sie geliebt. Sie war wundervoll. Sie ist die Rose der Welt. Die Liebe, die Liebe. Ein Karussell, ein Karussell.“ „Her mit meiner Augenbinde.“ „Sensibelchen!“ …und während sie so stehen und sich noch unterhalten, weicht die Nacht. sanft der Sonne, die sich über die Alpen legt und das Licht durchflutet die Welt. Das Leben zieht ein in den Tag und der Schein legt sich über das geschäftige Treiben der Menschen.

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