Prinzip Hoffnung
09/01/2002
Am Neujahrstag, ja noch früher, nämlich kurz bevor die Mitternachtsglocke zum Wechsel von Anno Dominum ruft, ist es bei den meisten so weit: Die besten Vorsätze werden noch einmal wie ein Ave Maria rauf und runter gebetet, werden inhaliert und über die Lungen dann im ganzen Körper verteilt und ausgebreitet. So hoffen wir, dass Wurzel schlägt, was man an Vorsatz in sich trägt. Erst jetzt, nach diesem ganz persönlichen Ritual, wenden wir uns dann unserem Nächsten zu, um zu umarmen und zu küssen, was geküsst werden muss. Ein Schmatz und dann los die Raketen. Ein Hoch in den Himmel geschossen, das dann als mickriges kleines Holzstäbchen mit schwarzem Fledderkopf wieder auf der Erde auftrifft, hoffentlich ohne dabei Schäden anzurichten. Noch heute wundert es, dass Raketen meist nicht auf Autos fallen, um dort einen vermeintlichen Schaden auszubreiten, dass sie keine Menschen und Tiere treffen, ja insgesamt so ungemein verträglich und freundlich zu sein scheinen als…eine Himmelsmacht. In jedem Fall machen wir an Silvester eine ganze Menge buntes Licht, trinken wir Fässer von Champagner und Prosecco leer, und das alles in der Hoffnung, dass jetzt, so final und initialisch, hier eben, an der Grenze, wo sich zwei Jahre treffen, um noch einmal unauffällig miteinander zu plaudern, endlich alles anders wird. Und wie mager die Ausbeute unserer Vorsätze auch sein mag: Das Ritual bleibt und hält sich, genährt vom Prinzip Hoffnung, wacker in der Zeit. Das Prinzip selbst, so scheint es manchmal, ist dabei der Fels in der Brandung, der am meisten Bestand hat. Und doch, neben unseren Prinzipien, die als solche, gewissermaßen mit sich selbst zufrieden von Dauer sind, da gibt es Konstanten, die uns auch dieses Jahr wieder begleiten werden; selbstverständlich und allerdings nur dann, wenn nichts Unvorhergesehenes geschieht: Mike Tyson bleibt ein Flegel, daran wird außer ihm selbst, der an so vielen schüttelt, niemand rütteln. Sophia Loren wird, wie immer, auch dieses Jahr für ihr Alter eine auffällige Schönheit bleiben, die nur zuweilen und wenn, dann nur für gute Schlagzeilen sorgt. Boris Becker wird sicherlich buntere Titelblätter zieren, auch wenn er selbst gar nichts dazu kann und wir noch nicht wissen, worum es dieses Jahr hauptsächlich gehen wird. Kaffee wird das Lieblingsheißgetränk der Deutschen bleiben, auch wenn der Cappuccino inzwischen selbst in Italien in Euro bezahlt wird. Das ist insofern komisch und doch noch leicht unsicher, weil sich die Italiener hartnäckig sträuben, in Euro zu zahlen und zu trinken. Aber noch ist ja Zeit bis Ende Februar… Dieser Geduld und der fröhlichen Beharrlichkeit des italienischen Volkes, der alten Zeit nicht gleich am ersten Januar den Rücken zu kehren, schneiden wir eine gute Scheibe Parmaschinken ab, in der Hoffnung, die Idee der verlangsamten Jetztzeit gefällt uns. Und wir verbleiben mit freundlichen Grüßen aus dem Land, in dem die Sonne öfter scheint als in Deutschland und in dem der Geist sich so gerne künstlerisch verliert und durch die Jahrhunderte in die Gegenwart schlendert, den Hut dabei zieht und uns ein herzliches Auguri zuwirft.