1.4. Diogenes hat frei
„Schaff was, dann kommste auf kei dumme Gedanke“, pflegte Großmutter zu mir zu sagen. Vor dem Phänomen „Arbeit“ hatte sie große Ehrfurcht. Die Arbeit hat sich darüber wohl gewundert. Denn kaum jemand hat sie jemals so verehrt. Von der Antike bis ins Mittelalter stand sie dem guten, eigentlichen Leben im Weg. Sie war der Dorn im Auge des Daseins, hemmte die Entwicklung des Menschen zu einem geistigen, religiösen und politischen Wesen und war insgesamt ein notwendiges Übel. Aristoteles bemerkte dazu: „Arbeit und Tugend schließen einander aus.“ In der Schöpfungsgeschichte wird der Mensch dazu verdammt, sein Brot im Schweiße des Angesichts zu verdienen. Im mittelalterlichen England war fast jeder dritte Tag ein Feiertag und das Ancien Régime in Frankreich erklärte zu den 52 Sonntagen noch weitere 128 Tage zu Ruh- und Feiertage. Die bürgerliche Revolution brachte diese Vorstellungen ins Wanken. 1799 schreibt Schiller im Lied von der Glocke „Arbeit ist des Bürgers Zierde, Segen ist der Mühe Preis…“ Und schon Benjamin Franklins „Time ist money“ reduziert das Leben auf Arbeit und Gelderwerb. Das veranlasst mich, Diogenes auf ein Schwätzchen in seiner Tonne besuchen. Denn der floh schon damals die Niederungen des ökonomischen Zwangs und hatte oft frei. Er lebte bescheiden und gelangte zu innerer Freiheit und Ausgeglichenheit.