Band 1 – 1.1 – Fahrplanänderung

Fahrplanänderung

Ich hatte heut‘ Verkehr.

Nein, nicht das, was Sie vielleicht denken;

Ich mußt‘ mich dabei nicht verrenken,

Nicht meine Kleider abstreifen,

Niemanden kneifen

Und danach zur Zigarette greifen.

Niemandem mußt‘ ich meine Lippen zuhauchen,

Nicht mußte ich zart sein, um später zu fauchen.

Ich kam nicht zum Fliegen,

Nicht wie die Möwen,

Und auch nicht zum Brüllen

Wie Tiger und Löwen.

Mein Mittelbereich war heut‘ zahm wie ein Lamm.

Nichts rührte sich,

Kein Windhauch kam und faßte mich an.

Keiner hat mir heut‘ ein Kompliment gemacht,

Doch dafür hat auch niemand

Über mich heut‘ gelacht.

Ich war wie ein Grashalm

Und fiel heut‘ nicht auf

Unter all den andern im Sonnenlauf.

Nein, ich hatt heut‘ Verkehr nur

Mit mir ganz allein,

Als einer, dem warm ist

Behaglich und fein.

Ich ereiferte nichts,

Nach Null ging mein Trachten,

Nichts war heut‘ zu tun,

Nur das gab’s zu beachten.

Ich grüßte zum Morgen die Frau beim Bäcker

Und kaufte von Tchibo

Mir dann einen Wecker

Für härtere Stunden,

Die Tage vergällen

Und am Morgen uns einsperr’n

In unsre Zeitzellen.

Doch all dieses dachte ich diesen Tag nicht,

Denn die Sonne hatte mich im Gesicht

Schon bei ihrem Aufgehen mitten erwischt.

So war ich mit mir selber also glücklich

Und fühlte mich bei all dem recht entzücklich.

Na, und dann zum Abend,

Da kam doch noch Sie

Und “Liebste” hauchend fiel ich auf die Knie.

Die Sache war eigentlich anders geplant,

Doch als Sie mich anrief

Hab ich’s schon geahnt:

Den Mittagsschlaf, der die Nacht lang dauert

Hatte Sie mit der Stimme bald zugemauert,

Meinem Freisinn hatte sie aufgewartet,

Ihn beiseite geschoben und dann nur gewartet.

Dann war sie, wie gesagt, bald bei mir

Und das friedliche Lämmchen

Stieg auf wie der Schweif eines Kaffekännchen

Und wurde vom Wurm zum Stehauferdmännchen.

Sie schob sich über die Sonne,

Kam wie Wolken und Gewitter,

Wie ein Regen über mich

Und verlor bald allen Glitter.

Sie nahm mich wie ein Mon Cherie

Und packte mich aus, das vergeß‘ ich ihr nie.

Sie sprach vom Ende der Sommerpause,

Von Chopin, Dostojewski, Kaffee

Und von Brause.

Ich ließ sie gewähr’n,

Denn sie hatte ja recht,

Sie kam außerplanmäßig und deshalb so echt.

Das wollt ich nur sagen,

Drum verzeihen sie recht,

Daß ich doch Verkehr hatte,

Und das gar nicht schlecht.

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