Band 1 – 3.6. – Vogel-Spiegel-Ei

Vogel-Spiegel-Ei


Außerdem siniert ich heut‘

Kurz über die Wirklichkeit.

Dabei fragt‘ ich mich:

Ist die Wirklichkeit wirklich?

Ist sie auch gescheit?

Ist sie gerade oder krumm?

Neigt sie sich?

Flieht sie die Welt?

Oder ist sie vielleicht dumm?

Ist sie alt und weise,

Oder nichts als Hoffnung für die Greise?

Ein Trostpflaster,

Ein Straßenpflaster,

Ein Ast, der sehr leicht bricht?

Ein Vogel sitzt darauf

Und merkt es nicht.

Und bricht der Ast,

Dann fliegt er gleich davon,

Ganz ohne Wirklichkeit und Hast,

Mit Flügeln leicht davongekomm’n.

Und schaut der Vogel in den Spiegel:

Wen sieht er da?

Die Wirklichkeit?

Damen und Herren!

Bleibt gescheit.

Was glaubt er, wen er sieht?

Sein Selbst, sein Ich?

Vielleicht gar ein Rhinozeros?

Oder einen Fisch?

Eine Runkelrübe,

Eine Tasse, eine trübe?

Einen Bahnhofsvorsteher?

Einen Aufsichtsaufseher?

Sieht er sich als Versicherungsberater?

Oder gar als Mutter oder Vater?

Vielleicht gar als der heil’ge Geist?

Schaut er sich vielleicht auch auf den Magen,

Um zu fragen:

„Hab‘ ich heute schon gespeist?

Wann war ich zum letzten Mal verreist?“

Fragt er sich am Ende gar

Wie er selber heißt?

Denkt er vielleicht gar nicht?

Oder denkt er doch, und denkt

Am End

Er hätte einen Vogel,

Der Vogel?

Vermutlich aber sieht der schräge Vogel

Im Spiegel einen Vogel nur.

Ohne Futur und Erinnerungsspur,

Ohne Dirigent und Stab,

Ohne Papper und Lapapp

Ohne alles sozusagen

Schaut er sich auf sein Federkleid,

Ohne allzu viele Fragen,

Ohne Geld in seinen Taschen,

Ohne Süßigkeit zum Naschen,

Ohne Buch und Kerzenlicht

Hält er vor sich selbst Gericht;

Neigt ein wenig seinen Kopf,

Rupft sich einen Federring,

Der am linken Flügel überhing,

Und fliegt dann,

Elegant und fromm,

In die Ewigkeit davon.

Vor’m Spiegel bleibt die Wirklichkeit

Zum nächsten Tete à tete bereit.

Gescherzt, die Damen und die Herrn:

Glaubt Ihr vielleicht

Die Wirklichkeit hat sich so gern,

Daß sie am Spiegel selber auf sich wartet?

Das Ding ist ja nicht gänzlich ausgeartet.

Vielmehr etwas, das gern wartet,

Auf ihr Selbst,

Auf tausend and’re Sachen:

Alles kann man eben machen.

D’rum versuchen Sie mit einem Lachen

Jetzt ein Feuer zu entfachen.

Nun verbrennen Sie den Spiegel

Als eine Art von Gütesiegel.

Dann lehnen Sie sich zurück,

Nicht zu sehr, soooo,

Nur ein kleines Stück.

Hopps, Sie fielen hinten runter.

Stehen Sie ruhig wieder auf,

Bleiben Sie munter.

Versuchen Sie beim Fallen

Nicht zu sehr, sich festzukrallen.

Und sind Sie froh,

Dann machen Sie es ebenso.

Fallen Sie nicht auf,

Sonst werden Sie zerrissen,

Seien Sie bei Tätigkeit

Nicht allzu dienstbeflissen.

Seien Sie leicht,

Machen Sie es wie die Feder:

Schweben Sie ruhig durch die Luft,

Und landen Sie ein wenig später.

Lassen Sie sich treiben,

Fliegen Sie wie Zuckerwatte,

Die sich selbst zum Naschen

Mitgenommen hatte.

Ja, genießen Sie sich selbst,

Verlieren Sie im Flug ihre Krawatte.

Spielen Sie mal Aladin,

Mit Leinenhemd und Schwebematte.

So nur ruhen Sie sich aus:

Aus dem Häuschen im eigenen Haus.

Für heute ist ohnehin Feierabend,

Ausgespannt und langsam trabend,

Nehm‘ ich vom Spieler jetzt die Platte,

Und Aus und Schluß mit der Debatte.

Kommentieren