Band 3 – 1.9. – Morgendämmerung

Morgendämmerung


Dunkel ist noch drauß die Welt
Finster ist’s und Nacht
Keiner hat den Tag bestellt
Und Licht ist noch keins angemacht.

Nur ein paar Laternen
Stehen auf der Straße
Wo sie den Asphalt erwärmen
Wie eine umgestülpte Vase.

Und ich sitz hier in meiner Stube,
Wo ich am Computer spiele,
Mit Gedanken hängenbleibe
Und auf meinen Bildschirm ziele.
In suche nach Bildern und Hinweisschildern
Und suche nach Schlangen und rötlichen Wangen
Ich such wie jeder nach dem Glück
Und nach unendlich langen Küssen,
Nach einem Mund, der alles kann
Nach Helena und meiner Süßen.

Ich such nach Wein und Ferkeleien
Und denk dann, ich sollt mich kasteien.
Man hört so viel von der Askese,
Daß man sich beinah schändlich fühlt
Wenn man nicht übt, was man nicht braucht
Und drunten tief im Staube wühlt.

Man muß die ganze Seele kneten
und außerdem zum Himmel beten
Man muß sich selbst in eine Zange
In einen festen Zaum einzwingen
Man muß das ichbezogne Ich
In sich erdrosseln und bezwingen.

Doch damit ists noch nicht genug,
Weil jeder, der sein Ich entbehrt
In einer Welt lebt, die ihm sagt:
“Mein Freund, Du funktionierst verkehrt.
Du kannst nicht tun, als seist Du frei
Und hälst Dich fern vom Allerlei,
Denn jetzt ist Winterschlußverkauf
Drum meditier nicht sondern kauf.”
Die Läden sind ja übervoll
Das Angebot ist wirklich toll
Es kostet nicht mal halb so viel
Was man nicht braucht und nicht entbehrt
Drum kauf es trotzdem ohne Ziel
Und dann erst schau auf seinen Wert.

Siehst Du nicht die Pudelmütze,
Die für nur zwei Mark hier lauert
Hast erst drei, drum ist sie nütze
Wenn es kalt ist und dich schauert.
Siehste Freundchen, trag nur drei
Eine hält dich warm dabei.
Überall liegen Pralinen,
Die an Kassen süßte Bienen
Dir für Kleingeld nur verkaufen
Und Millionen Menschen laufen,
Rennen hin und rennen her,
Im Kaufhaus und im Kreisverkehr,
Stehen Schlange in der Schlange,
Schlagen sich und machen bange,
Balgen sich ums Knie von Inge,
Lutschbonbons und Silberringe,
Um den letzten Tattergreis,
Um Schneehemden und Himbereis,
Um den letzten Mohikaner,
Skirüstzeug und Leuchtreklame,
Um ein Hemd von Channanel
Und den Hund von Annabel,
Um ein Kabel auf dem Stapel
Und den Bauch von einem Nabel.

Alles wird jetzt rausgehökert
Nichts behalten und verzögert,
Kauft, krallt los und schlagt nur zu
Denn betrogen ist im Nu,
Wer jetzt nicht bei der Sache ist
Und das Angebot vergißt.

So sitz ich hier asketisch yetisch,
Denk nach, was mir zum Glück nocht fehlt
Greife still nach meinem Fetisch
Und versink in meiner Welt.
Schalt jetzt die Gedanken ab,
meditiere leis und stille
Und entfliehe leis und stad
Meiner schlaffen Körperhülle.
Nun betracht ich aus der Ferne
All das lose bunte Treiben,
Sitz auf einer Nachtlaterne,
Wo sich meine Hände reiben,
Schau benommen und zufrieden
In den neuen, jungen Tag,
Seh im Morgenrot ein Lieben,
Daß sich selbst am meisten mag,
Seh die Sonne sich erheben,
Schau ein Licht an voller Leben
Bestaune wortlos meine Zeit
Wäre gern asketisch ich
Wundre und vergesse mich
Und träum doch nur im Zeitvertreib.

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