Band 2 – 2.5 – Narziß hat Morgenstund im Mund

Narziß hat Morgenstund im Mund

Seit ein paar Tagen schon geht’s so,

Und langsam werd‘ ich richtig froh,

Und ärger‘ mich bisweilen nur

Wie eine viel zu lange Schnur,

Die schon ihr eig’nes eines Ende

Vor der großen weiten Wende

Nicht mehr unterscheiden konnte,

In sich selbst schon nicht mehr wohnte

Und sich einmal streng genommen

Abhanden war und fort gekommen.

Doch nach der langen Fremdheitsdauer

Einer dicken Geistesmauer

Kehre ich zu mir zurück

Und erfahre mich im Glück.

War mir mein Daseinszweck blamabel,

Find‘ ich ihn heute akzeptabel

Und manchmal sogar formidabel.

Vieles im Tun schien mir banal,

Nicht intellektuell fatal,

Ja, wie ein stinkender Kanal

Und out schon wie ein alter Schaal,

Empfand ich vieles überflüssig

Und war des Lebens überdrüssig.

Jetzt geht die Sonne wieder auf,

Die Morgenatmung bläht sich auf

Ich frohlocke und spendiere,

Jauchze auch und meditiere,

Ich bin den Sternen wieder nah

Weiß nicht mehr, wer ich gestern war,

Denke noch lange nicht an Morgen

Und übersteh‘ mich ohne Sorgen.

Mein Fell ist dick und glänzt im Scheine,

Ich bin nun wieder ganz der meine.

In meine Mitte eingerückt,

Bin ich von mir nicht schlecht entzückt.

Und weil ich ganz verwandelt bin

Entsage ich dem Eigensinn.

War ich bis heute mir nur wichtig

Erkenn‘ ich jetzt:

Es war nicht richtig.

Jetzt geh‘ ich auf die andern zu

Streichle schon einmal eine Kuh

Oder spiele mit der Tatze

Einer lieben Katerkatze.

Sie sehen ein, ich bin ein anderer

Angekommen ist der Wand’rer.

Die Ruhe ist mir eingekehrt,

Ich liege von mir selbst verehrt,

Wie Narziß am goldnen Teich

Und mein Gehirn wird langsam weich.

Ich reguliere über mich

Wie ein sich selbst drehender Fisch.

Als Nabel meiner kleinen Welt

Hab‘ ich mich in den Mittelpunkt gestellt.

Ich könnt‘ von hier die Welt erblicken,

Bräuchte mich nicht mal mehr zu bücken,

Ich säh‘ vom Kleinen bis zum Großen

Dem Volk bis auf die Unterhosen,

Ich wär den Menschen Herr und Meister,

Verteiler aller Lebensgeister,

Wäre Herr der Sieben Meere

Des sechsten Sinnes, aller Heere-

Ich führt‘ nur mit mir selbst noch Krieg

Und wäre stolz auf meinen Sieg.

Als aller Herren Überwinder

Blickte ich stolz auf meine Kinder.

Doch steh‘ ich auf dem Wonnehügel

Und seh‘ nur bis zum eignen Spiegel.

Mir ist die ganze Welt versperrt,

Weil sich das einfach nicht gehört,

Sich selbst und nichts mehr sonst zu seh’n

Und außerdem ist’s auch nicht schön

Auf Dauer mit sich selber nur

Und sonst niemandem auszugeh’n.

Schenken Sie sich selber Rosen

Und leben sie aus Aludosen,

Dann wissen Sie nach einer Weile

Von der Ewigkeit der Meile,

Die man mit sich selber geht,

Doch dann ist’s meistens schon zu spät.

Drum rate ich, sich schon zu Zeiten

Auf die ander’n einzureiten.

Schau’n Sie an einem klaren Tag

Mal weit über den Horizont

Und prüfen Sie, wer da so wohnt.

Nehmen Sie Ihr eignes Glück

Ein kleines bißchen mal zurück

Und laufen Sie ein gutes Stück

In die weite Welt hinein,

Verteilen Sie Ihr Seligsein

Und geh’n Sie auf die ander’n ein.

Und lassen Sie sie, wie sie sind,

Mit ihren Fehlern Menschen sein.

Nehmen sie sich Zeit,

Spülen Sie die Seele rein,

Atmen Sie die Sonne

Und hängen Sie sich niemandem ans Bein.

Bleiben Sie lieber mal allein

Im Sein,

Bei einem Gläschen Wein

Mit ihrem eigenen Gehirn

Und Ihrem Geist

Als wär’n Sie mit sich selbst

Für einen Augenblick verreist,

Und spüren Sie im Duft,

Bei einer guten Flasche Morgenluft,

Wie alles in sich selbst verpufft.

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