Der Zahn der Zeit
Winternebel senkt sich
Und das Volk verrenkt sich
Am Morgen schon die krummen Füße,
Vergißt sein Heim und alles Süße
Und rauscht zur Arbeit weit und breit,
Weil’s halt so ist und jeden freut.
Hätt‘ ich nur einen Schimmel,
Ich wär‘ schon lange fortgeritten,
Von hier bis mindestens zum Himmel
Oder gezogen mit Gebimmel,
Fortgeflüchtet mit dem Schlitten
Jetzt, grad‘ so vor der Weihnachtszeit,
Wo jeder Streß hat, sich kaum freut
Und alte Lieder wiederkäut-
Wie gutmütige Kühe
Entsteht von Jahr zu Jahr die Mühe,
Daß man nicht weiß, was man nicht braucht
Es darum kauft und sich zerschlaucht
Auch wenn es sinnlos ist und staubt,
Selbst wenn’s gestohlen und geraubt.
Hauptsach‘, man hat was, weil man glaubt,
Daß dies der Brauch ist, dem man folgt,
Als bis das Aug ins Grabe rollt.
Es ist die Gabe, das zu tun,
Wonach man meistens fragt: Was nun?
Und wieder tut und sei es drum.
Kurzum: der ganze Weihnachtsklos,
Der uns im Hals steckt, kommt nicht los
Und wiederholt sich Jahr für Jahr
Und’s Christkind war schon wieder da,
Und wir haben es kaum bemerkt
In den Geschenken, diesem Berg,
Der wie zum Himmel ragt, so hoch,
Uns niederdrückt, dann wie ein Joch
Und schließlich wieder fragen läßt,
Warum uns oft die Kraft verläßt
In diesen schönen Feiertagen,
Umrahmt von sinnlosen Gelagen,
Von Mast, Buffets und vielen Bräuchen
Von Spendenfluten, die wie Seuchen
Uns einmal jährlich überfallen,
Damit auch ja die Schulden allen,
Die sonst nichts tun, erlassen sind
Wie einem frechen, kleinen Kind,
Das sich einmal im Jahr entschuldigt,
Indem es einem Zwecke huldigt,
Von dem es glaubt, es lohnt das Geld:
So denkt beinah‘ die ganze Welt.
Es ist ein Zerren und ein Zieh’n,
Ein Überfallen und ein Flieh’n,
Ein Hin und Her und Hin und Wieder
Und reicht in etwa bis zum Flieder
Des Frühjahr eines Folgejahres,
Wo man dann glücklich sagt, das war es.
Der Winter ist endlich vorbei,
Das Christkind ist uns einerlei.
Jetzt fühlen wir uns wieder frei,
Wie neugebor’n und sind dabei
Uns ganz von vorne aufzuschwingen
Nach hinten noch vorhand’nen Dingen,
Nach Hyazinthen und Jasmin
Und wie die Blumen woll’n wir blühn
Uns sei’s nur einen Sommer lang-
Ein jeder Mensch verspürt den Drang,
Die Lust, das unbedingte Sollen,
Gelenkt von einem fremden Wollen,
Das in uns wütet wie die Diebe,
Wie eine fremde Satansliebe
Wie eine Lust, die in uns haust
Uns jauchzen macht, leidend, die braust,
Die in uns tobt wie fremde Wellen
Und überrascht wie Stromesschnellen-
Und Gück bringt und ein zähes Quälen,
Und die wir wenn sie fort ist missen
Und ist sie auch komplett beschissen.
So geht es einen Sommer lang
Mit uns’rer Lust und uns’rem Drang,
Mit Fleisch, mit Körpern, Dunst und Schweiß,
Mit Strand, Girland‘ und Erdbeereis,
Bis dann die Jahreszeit vergreist,
Dem Herbst den rechten Platz anweist.
Und schließlich, wie ein erster Nebel,
Schiebt sich der Dunst, so wie ein Knebel
In uns’re Hälse, uns’re Körper
In uns’re Häuser, in die Dörfer
Und legt ein ganzes Völkchen lahm,
Das kaum noch aus der Hitze kam
So geht’s dahin jahrein jahraus,
Ein Jahr wechselt das and’re aus,
So geht’s bis über uns hinaus,
Das Jahr hinein, dann wieder raus.
Und’s nagt der Zahn, so wie die Maus
Uns mit der Zeit die Zähne weg,
Und schließlich bleibt nicht mal ein Fleck
Vom Paradies, von uns’ren Sachen
Vom Christkind und von uns’rem Lachen,
Vom Flieder und der Frühlingszeit,
Vom Sommer und der Lieblichkeit,
Vom Herbst, von seinen sanften Nebeln,
Die uns so automatisch knebeln-
Von allem, was mit uns entsteht
Ist klar, daß es zugrunde geht
Und nichts bleibt mehr, was wir geseh’n
Nicht ‚mal das Auge bleibt bestehn,
Und was wir heute früh noch glauben,
Wird einst die Dunkelheit uns rauben.
Im Staub, im Nichts endet der Lauf,
Entkörpert sich, hört schließlich auf.