Wider den guten Ton

Wider den guten Ton
27/04/2003

Aus Baden Baden kommt der neueste Trend des guten Benehmens. Frau Elisabeth Bonneau, Kommunikationstrainerin und Benimm-Expertin gibt zum Besten, dass man als geladener Gast grundsätzlich nicht von sich aus „Guten Appetit“ und schon gar nicht laut „Mahlzeit“ zu rufen hat, so dass es auch noch das letzte Rennpferd der Laufbahn mitbekommt und sich damit am Ende gar eher dem Hafer als dem eigentlichen Rennen um einen hübschen Pokal hingibt. Und da geben wir Elisabeth gerne Recht, denn schließlich ist sie mit dem Namen Bonneau beschenkt, was doch keine Zweifel duldet. Immerhin ist sie nur um Haaresbreite an „Bonmot“ vorbei geschlittert, was mich zum dem Gedanken verführt, selbst künftig vielleicht Monsieur Lit oder gar Lit Litterature, Monsieur le Pen, Schreibislav Ecrischeck oder einfach nur Die Feder zu heißen. Dann wäre ich auch nach dem Schreiben viel leichter zu rupfen, weil man bei meinem Namen unweigerlich an ein Hühnchen denken müsste und es damit ein Leichtes wäre, mich hübsch auszupflücken, bevor man mich ins Rohr stopft. So aber mag ich vor dem Grillen meiner Grillen, die mir der Herrgott bei der Geburt schon in Form einer gallertartigen Hirnmasse mitgegeben hat, damit ich mit meinen Gedanken hübsch wie auf einem Pudding Trampolin springen kann, noch zum Besten geben, dass ich mit dem zweiten Passus, dem wir der Meinung von Frau „Zum guten Ton“ entlesen, nicht einverstanden sein mag. Denn angeblich kommt es gerade aus der Mode, dass auch die Gastgeber eines Dinners „Guten Appetit“ wünschen und schon gar nicht bei förmlichen Anlässen. Hingegen nimmt der Gastgeber als Startzeichen für die Runde einfach das Besteck in Hand und beginnt zu essen, da ein „Guten Appetit“ von Seiten der Köchin nach Eigenlob duften würde. Dem entnehme ich, dass man sich neuerdings selbst preist, wenn man seinen Gästen wünscht, dass es schmecken möge.

Aber seien wir ehrlich. Ist es nicht das Mindeste, dass man seinen Geladenen einen ganz althergebrachten guten Appetit wünscht, wenn man den halben Tag in der Küche geschuftet hat und sich im Anschluss vielleicht damit ganz nebenbei ein kleines Lob erhofft? Und welcher Gast würde wirklich denken, dass sich der Gastgeber damit bereits zu weit aus dem Fenster gelehnt hat? Das wäre doch höchstens der Fall, wenn man einfach anfinge zu essen, aber gleich nach dem Startschuss in die Runde rufen würde: „Schmeckt´s?“, um damit den Gästen ein hübsches Bonmot über die Köstlichkeit zur Vorspeise zu entlocken, die noch kaum berührt und also jungfräulich bei der ganzen Gesellschaft ängstlich zusammengekauert und steif auf einem Teller liegt, weil sie weiß, dass jetzt gleich ihre unweigerliche Verwandlung beginnt, die schließlich in einem unterirdischen Kanal ihr dunkles und genauso geheimnisvolles Ende nimmt. Diesbezüglich hat immerhin schon Josef Hader zum Besten gegeben, dass die gesamten Wiener Abwasserrohre von Hundertwasser ausgemalt sind, und tiefer soll hier auch nicht gegraben werden.

Wo kommen wir denn hin, wenn wir so fein werden, dass wir einfach wortlos anfangen zu essen? Oder ist es vielleicht die letzte Möglichkeit, unter solchen Gästen gänzlich die Kommunikation zu vermeiden, die sich ohnehin nichts mehr zu sagen haben? Ist das vielleicht ein kleiner Hinweis auf das Untergehen einer Kultur, die sich am bitteren Ende so wegverfeinert, dass sie sich aus Gründen eines überheblich anmutenden Understatements auf einen so winzigen Nenner rationalisiert, dass man ihn nicht einmal mehr in Worte kleiden kann?

Da werde ich Frau Bonneau vermutlich nur ungern zu mir einladen, denn ich fürchte vorab, dass mein Besteck nicht silbern genug, mein Wein nicht angenehm rot, meine Hände nicht fein genug und schließlich: mein ganzer Umgangston so natürlich sein könnte, dass er am Ende nicht einmal mehr zum Französischen Namensdekolleté meiner Gäste passen könnte. Ich würde also in einem solchen Fall Gefahr laufen, mit jedem Wort, das ich spreche, Ihnen zu tief in den Ausschnitt zu schauen und also einen guten Ton zu verletzen, der in sich gekehrt irgendwo rauscht und nichts hören will. Dabei würde voraussichtlich dann auch jeder meiner Gedanken schon vom Hin- und Herwälzen, ob er denn hinaus darf oder soll, so verunsichert sein, dass er höchstens noch als Stammeln und unverständliches Wortgewirr und also als eine Art Urlaut, ja vielleicht sogar in Form eines unbeholfenen Spuckens auf meinem Teller landen würde, bevor er sich unter die Ohren meiner Gäste mischen würde. Ja, ich glaube sogar, er wäre so ängstlich, dass er vor der Gehörmuschel von Frau Bonmot schnurstracks wieder zu mir umkehren würde, in der Hoffnung, ich würde ihn wieder aufnehmen, weil ich mich getäuscht hatte, ihn in eine so tiefe Schlucht zu werfen, in einen Gehörsturz, von dem er sich unmöglich jemals wieder erholen könnte. Aber selbst das wäre fraglich, denn es wäre möglich, dass meine Gedanken in einer so kühlen Umgebung, kaum entlassen, in einen so kalten arktischen Winter gehüllt wären, dass sie sich schon auf halber Strecke zu Eis verwandelten und in Form von eckigen Hagelkörnern mit einem hellen Ton auf dem Porzellan zum Stehen kämen, weil sie sich im Angesicht so großer Kälte nicht mehr bewegen könnten. So viel Frost wiederum könnte dazu führen, dass das ganze Gleichgewicht der Welt, die Vollkommenheit der Natur und der unendliche Raum, die Atmosphäre, die uns einhüllt, so sehr aus dem Gleichklang kämen, dass es nicht ungewöhnlich wäre, künftig die Ursache der nächsten Eiszeit in meinem Haus zu vermuten.

Deren Auslöser zu sein aber wehre ich mich, und bitte alle Damen des neuen guten Tons höflich, bei sich zu Hause zu bleiben und mich nicht besuchen zu kommen, lasse Ihnen aber aus der Ferne ausrichten, dass ich mich nur ungern als Feder zum Rupfen hergebe, aber dennoch in Form einer Feder, die schreibt, „Guten Appetit“ wünsche, damit die Wärme in den Speisen, die Sie verzehren wenigstens so lange gespeichert bleibt, bis sie Ihre Kehlen erreicht.