Im Flügelschlag des Kolibri
02/04/2003
30 Kilometer vor Bagdad kündigt Howard Carpendale für das Ende des Jahres das Finish seiner Gesangskarriere an, um sich fortan mehr seinem Privatleben zu widmen. Ob das ein Zeichen ist, und wenn welches, wir wissen es nicht. Denn wenn es in diesen Zeiten der verwirrenden Wirren auch noch Zeichen gibt, wer wäre heute noch im Stande, sie wahrzunehmen und – zu guter Letzt – auch noch richtig zu deuten? Die Wahrheit versteckt sich in den Zwischenräumen schwummriger Berichterstattung, Propaganda und dem Wetterbericht. Oder wie es ein Freund kürzlich treffend auf den Punkt brachte: „Das erste, was im Krieg stirbt, ist die Wahrheit.“ In jedem Fall hat inzwischen auch der Letzte mitbekommen, dass jetzt Schluss mit „Ti amo“ ist.
Da hilft´s auch nicht, wenn der Teufel aus seinem Bush-Trommelfeuer der unbedachten Worte seinem Volk zuruft: „Und das Licht wird die Finsternis erhellen. Und die Finsternis wird das Licht nicht überwältigen können.“ Ja, der alte Mephisto fährt doch nur fort zu treiben, was er schon immer trieb. Er nimmt den Herrgott ins Schlepptau, wenn er Publicity braucht. Dass er es allerdings von so tief unten aus der Hölle bis in unsere Ohren schafft, hätte niemand geglaubt. Wie finster muss der Ort sein, aus dem man so ungeheure Urlaute erschallen lässt, die wie gewaltige Rauchsäulen in Kreisen auf der Erdoberfläche aufschlagen, dass dort, wo sie auftreffen, selbst das Unkraut stirbt. Da ist dann wohl doch eher „Willkommen auf der Titanic“ angesagt. Und die Welt hält beim Untergehen den Atem an.
Damit uns nicht ganz die Puste ausgeht, hat sich der Mensch, diese intelligente Ameise des Universums, aber dann doch wieder zur rechten Zeit etwas Erlösendes ausgedacht. Incor I heißt die Zauberwaffe, die die schwachen Herzen unserer bedrohten Rasse am Schlagen halten soll. Und der Erfinder des sicherlich nutzbringenden Zaubers ist die Firma Berlin Heart aus Steglitz. Die hat nämlich – vergessen wir nicht, nur noch 30 Kilometer bis Bagdad – ein Kunstherz entwickelt, das herzschwachen Menschen das Leben verlängern soll. Im Gegensatz zu Systemen, die mit Luftdruck das Schlagen des Herzens nachahmen, wird bei Incor I das Blut mit einem rotierenden Propeller kontinuierlich in die Hauptschlagader gedrückt. Im Flügelschlag des Kolibri rauscht das Blut also durch die Adern all jener, die noch kurz zuvor dabei waren, ihren heiligen Geist auszuhauchen. Im Gleichklang der Rotorblätter mit so manchem leise dahinschwebenden Apache-Helicopter fließt das Leben parallel und gleichmäßig weiter durch die Zeit und bahnt sich seinen Weg.
Er ist eben nicht unterzukriegen, dieser schiffsbrüchige, haltlose Narr, der sich durch die Welt baumelt wie eine klingende Schelle, die eine Mischung aus Weltuntergang und Karneval verkündet. Denn wenn´s nicht wirklich wäre, wir würden´s ja gar nicht glauben. Aber wir sitzen schon mitten drin im Film. Was uns noch fehlt, ist natürlich ein Happy End. Wir hocken ja alle gespannt und hoffen drauf. Aber es könnte doch auch noch schlimmer werden. Der Spannungsbogen hat die Klimax vom Gipfelkreuz noch nicht Richtung Finish abgeschossen. Freilich gibt es Vorahnungen, aber die lassen eben nur Vermutungen zu, keine Schlüsse.
So sehen wir, wenn wir zum Himmel, blicken, dass die Störche auch dieses Jahr, wie schon während des Golfkriegs 1991, ihre Route ändern könnten und gar nicht mehr nach Europa kommen, weil sie es leid sind, über brennende Ölquellen zu fliegen. Kann man ja auch irgendwie verstehen, dass man nicht freiwillig durch die Hölle fliegt. Außerdem könnten sie auch leicht mit Tarnkappenbombern und Aufklärungsflugzeugen zusammenstoßen oder als mutmaßlicher Feind ins Kreuzfeuer genommen werden. Vor allem, da man weiß, dass sie die Kinder bringen, und die stehen ja auch nicht schlecht in den Flammen und fragen sich in der Sprache ihrer kleinen schlagenden Herzen: Wozu sind Kriege da? Das wird ihnen – natürlich nur denen, die überleben – dann doch irgendwann mal einer erklären müssen. Die Antwort könnte dann vielleicht in etwa lauten: „Frag nicht lang, mach´s wie Incor I: Wirf die Propeller an uns schlag Dich durch.“ Aber ob es das ist, was uns wirklich am Leben hält? Dann doch lieber „Ti amo“.