Fünf müde Mark

Fünf müde Mark
02/11/2001

Der Zahn der Zeit nagt auch am Geld. Zwar tut er sich schwer damit und nutzt sich auch sichtbar ab, aber wenn wir ihn einst wie die Stoßzähne eines Mammut ausgraben werden, dann werden wir sehen, er hat am Geld herumgekaut. Wie ein flüchtiger Schatten, der eine Nation beinahe fünfzig Jahre lang konkret und selbstverständlich begleitet hat, wird sie vorbeigehuscht sein, dann, dort in der Zukunft, beinahe vergessen, begraben – die D-Mark. Was waren das noch für Zeiten, als die Locken von Bettina von Arnim wie eine zärtliche Romanze, wie ein Prélude dahinfließend auf dem Fünf-Mark-Schein ins Grün des Geldblattes hingen und der Bundesadler wie eine Urgewalt, wie von der Zugspitze oder noch besser vom Himmel selbst auf die Menschheit niedergeschossen kam und sich in den Händen unseres quirligen 80 Millionen-Völkchens in blankes Hartgeld verwandelte. Man wird den Verdacht nicht los, dass es die Zigarettenindustrie war, die sich diese Metamorphose ausgedacht hat und die Tabaksteuer selbst wird sich wie eine sichtbare Erhabenheit gefühlt haben, der der Bauch schwillt, während sich dem Völkchen die Lungen schwärzten. Vielleicht waren es aber auch die Zigarettenautomaten selbst, die das Klirren des Kleingeldes nicht mehr hören konnten und nach der All-in-one-Lösung geschrieen haben, um ihre Ohren wenigstens ein klein wenig zu entlasen. Fünf Mark: Das kommt gleich nach dem Kleingeld, das ist eine Art Mittelgeld, die ganz kurz vor den Scheinen aufhört. Das ist schon was und doch nicht genug. Aber man kann schon was damit machen. Da geht schon was. „Mit fünf Mark sind Sie dabei.“ War es nicht das Los der ARD-Fernsehlotterie, das uns das verraten hat? Oder war es Karin Tietze-Ludwig selbst, die doch auch unmerklich statt für Lose für Zahnweiß hätte werben können, so natürlich, so lächelnd, so frisch und glänzend wie ein 5-Mark-Stück, als hätte es der Beißer zwischen den Zähnen, 007 noch einmal anlächelnd, bevor er ihm die Halsschlagader durchbeißen will. Aber wir wissen alle, dass daraus nie etwas geworden ist. Fünf Mark, das ist eine Currywurst, je nachdem vielleicht auch mit Pommes, das ist ein Döner, scharf gewürzt, an den Buden und Ecken des Lebens wie eine Frisbee im Flug eingefangen, die sich uns schließlich füllend auf den Magen legt. Und nun? Was wird daraus? 2 Euro und fünfzig Cent! Wie das klingt. Cent – die weltweite Variante vom Kleingeld, vom Nippes, vom Kleinvieh, das auch Mist macht. Jetzt bald auch in Europa erhältlich. Meinetwegen. Dann kaut der Zahn der Zeit von nun an eben am Cent und nicht mehr am Pfennig rum. Nur die Hessen werden sich schwer tun. Da fehlt jetzt was im Wortschatz: „Haste ma a Mack”. Das waren Zeiten. Und jetzt: „Haste ma en Euro.“ Des klingt nach so gar nix. Da könnd isch grad zuviel kriee. Die ganze schöne Phrase: „Mir geht des dursch Mack und Bein. Jeder hat ebe so sei Macke. Macketingstrategie, Mackulatur.“ Und dann: „Isch hab kei müd Mack.“ Ja, da haben die Hessen ein wahres Wort erfunden. Einen Klassiker. Denn die Mark ist so müde, dass sie sich jetzt bald ganz schlafen legt. Es sei ihr vergönnt. Sie hat ihren Dienst getan. Aber man kommt nicht umhin, dass einem der Schreck durch die Glieder fährt. Ihr ewiger Schlaf wird uns tief treffen. Nur unmerklich nistet sie sich in uns allen ein, wie eine alte Erinnerung, die uns über unser Leben hinaus begleitet. Nur dass sie sich unwirklich von einer schönen Dame in ein Neutrum verwandelt. Aber so ist es eben wenn wir sterben. Es trifft uns bis ins Mark.

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