Sentimental journey
25/11/2002
Wenn es eine Ewigkeit gibt, dann muss sie Flügel haben. Sie kann sich ganz unmöglich ohne Leichtigkeit verflüchtigen. Sie muss etwas haben, das sie trägt. Man kann sich vorstellen, dass sie ganz alleine bleibt, da draußen, man kann sich vorstellen, dass sie sich in den glänzenden Räumen des Universums still unterhält und mit wachen Augen lautlos ihre Kreise zieht, und man mag sich einbilden, dass sie die Berge aus Zeit und Eis auf Ihrem Rücken lautlos durchstößt und sich lachend durch den Äther in die Höhe abhebt. Aber wie ist es möglich, dass sie all das so spielerisch beherrscht? Was macht den Raum so überschaubar, so glücklich? Vielleicht ist es ja das, was sie trägt. Vielleicht sind es wirklich nur die Flügel, die sie auf ihrem Weg durch die Schwerelosigkeit begleiten. Vielleicht ist es aber auch eine Art von Wissen, dass sieh sich gewissermaßen selbst durchstreift, wenn sie durch den Raum gleitet. Vielleicht ist es ihr Daheimsein im Jenseits der Zeiten, das sie so klar sein lässt. Es mag diese Einsicht sein, dass die ganze Welt und alle Wesen, die sie streifen, durchwebt sind von einem Traum, der sich erfüllen will und seinen Faden niemals aus der Hand gibt.
Und alle Menschen und Kreaturen hängen an diesem Traum und weben wie Marionetten die Zeit und die Bilder, die Gezeiten, die Menschenträume und die Kinderspiele, die ersten Fältchen, die Kümmernisse. Und sie tanzen durch dieses brüchige Gewebe, das in sich selbst so sicher, friedlich und endlos alles auffängt, bis hin zu den letzten Tagen unserer Leben, in denen die Bedeutung all dessen, was uns am Herzen liegt, noch einmal so mächtig aufschimmert, um sich dann als Nebensächlichkeit zum Polarstern hinauf aufzuschwingen. Denn dort ist das Licht, in dem uns der Tod so kalt und hell empfängt, damit wir von dort aus weiterziehen. Hier machen wir noch einmal Zwischenstation, denn das mag der Ort sein, an dem die Seele sich endgültig vom Leib verabschieden wird. Und wir mögen dann nichts mehr ersehnen, als all die Nebensächlichkeiten, die unser Leben getragen haben, die Cafés, das Sonnenlicht im Kaleidoskop seiner Traumfarben und die Wellen in ihren Brechungen und sanften Schlägen. Wir werden uns an Tau auf Frühlingswiesen erinnern, an die Eisschichten auf Herbstwiesen am Morgen und an die Zärtlichkeit, die all das noch einmal verzaubern konnte. Vielleicht spüren wir den Winter im Gesicht und den Tee in unseren Händen.
Wie unwichtig wird dann mit einem Mal alles werden, was wir über die Politik und die bürokratischen Gewebe unserer Welt gedacht haben, wie kläglich versinken dann alle Kontoauszüge, Überweisungsformulare, Passwörter, URLs und Steuererhöhungen in der Vergangenheit. War das vielleicht alles eine ganz merkwürdige Apotheke, in der wir ständig nichts als das Vergessen eingekauft haben? Und jetzt ist es aus? Was für eine verlogene Medizin. Und während wir uns also so unmerklich die letzten Aspirin einwerfen, um den Tod etwas zügiger zu verdauen, da werden wir uns also fragen, ob wir das mit den Flügeln so recht begriffen hatten, damals, im Vorfeld, als die Ewigkeit noch durch unsere Zeit sich aufmachte, uns ihren Traum zu zeigen. Das hatte alles mit so viel Liebe zu tun, bis heute, und verflüchtigt sich, und webt sich immer weiter…